„Bereicherung pur“


Wird ehrenamtliches Engagement den Menschen in die Wiege gelegt, ist es genetisch bedingt, kann es vererbt werden? Solche Fragen tauchten auf, als Erika Brink bei der Schilderung ihrer langjährigen Tätigkeit in der Turngemeinde Münster launig einflocht, das Ganze habe eigentlich „schon bei der Geburt angefangen“. In der Diskussion mit anderen Ehrenamtlern ergaben sich indes keine Belege für ein angeborenes Engagement. Was aber im Grunde eine gute Nachricht ist – bedeutet es doch im Umkehrschluss: Jeder kann Bürgerengagement.

Gelegenheit zu solcher Ursachenforschung bot die erste Matinee der Bürgerstiftung Münster im Foyer des Stadttheaters, bei der zunächst das Bürgerengagement in der Nachkriegszeit thematisiert wurde. Ein Rückblick, der ebenso sinnvoll wie notwendig ist, wie Moderator Matthias Bongard mit einem Zitat seiner früheren Geschichtslehrerin unterstrich: „Ihr könnt nicht verstehen, was heute ist, wenn ihr nicht wisst, was früher war.“ Nach dem Einführungsreferat von Prof. Franz-Josef Jakobi ging es dann vor allem um die Bereiche Kirche, Sport und Theater.

Bongard konnte dazu in drei Runden insgesamt neun Gesprächspartner begrüßen – die, wie er betonte, kein Ranking und keine Hitliste anführen, sondern „stellvertretend für viele andere stehen“. Und dass es viele Ehrenamtliche in Münster gibt, das hatte auch Hans-Peter Kosmider, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung, in seiner Begrüßung betont: Münster sei nicht nur eine besonders lebenswerte Stadt, sondern auch „eine Stadt des Bürgerengagements“. Wobei man sich gut vorstellen kann, dass da ein Zusammenhang besteht…

Wie unterschiedlich Engagement im kirchlichen Leben aussehen kann, zeigte die erste Gesprächsrunde. Während Dr. Otto Möllenhoff (77) seit 2003 im Kirchenfoyer aktiv ist und seit anderthalb Jahrzehnten in der Kustodie der vielbesuchten St.-Lamberti-Kirche („Da geht es vor allem darum, Präsenz zu zeigen.“), engagiert sich Hiltrud Rogner (72) seit langem bei den Grünen Damen („Es gibt aber auch grüne Herren“) im Evangelischen Krankenhaus, die Patienten Zeit und Zuwendung schenken. Eher „untypisch“, weil jung: Benedikt Vollmer, der durch das Studium zum Wahlmünsteraner wurde und sich dann sagte: „Wenn ich Münsteraner werde, möchte ich auch mitgestalten.“ Heute ist der 29-Jährige Vorsitzender der Kolpingsfamilie Münster-Zentral. Alle drei nannten als Motiv für ihr Engagement auch den christlichen Glauben.

Ganz unterschiedliche Wege ins Ehrenamt nahmen die drei Teilnehmer der Sport-Runde. Erika Brink kam mit zehn Jahren in den Turnverein, übernahm sehr schnell zusätzliche Aufgaben – und gründete 1971 in der Turngemeinde Münster die Abteilung für rhythmische Sportgymnastik, die sie lange Zeit auch selbst leitete. Gerd Limpert dagegen bekam den Sport quasi verschrieben – von seinem Arzt. Er lief indes nicht nur für seine eigene Gesundheit, sondern brachte auch andere in Bewegung, weil er die Leitung eines Lauftreffs übernahm. Ein Engagement, von dem offenbar beide Seiten profitierten: Als Limpert sich auf dem Podium als 88-Jähriger „outete“, ging jedenfalls ein leichtes Raunen durch den Saal. Und auch in dieser Runde gab es einen „Jungspund“: Daniel Graffe kam als aktiver Fußballer zum VfL Wolbeck, übernahm schon als Jugendlicher Traineraufgaben und gehört heute – mit 26 Jahren – zum Vorstand. Dass Leute seines Alters in solchen Positionen eher selten sind, ist für Graffe keine Überraschung: Zwischen Mitte 20 und Ende 30 stehe für die meisten Familie und Karriere im Vordergrund.

In der letzten Gesprächsrunde ging es um Kultur. Dr. Heiko Winkler kam als Vorsitzender der Freunde und Förderer des Sinfonieorchesters – das 2019 sein 100-jähriges Bestehen feiern kann, also unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde. Für Matthias Bongard Anlass zu der Frage: „Woher kommt dieser Wunsch nach Kultur – auch in Zeiten existenzieller Not?“ Winkler antwortete mit einem Zitat des Generalmusikdirektors: „Musik und Kultur gehören zu den menschlichen Grundbedürfnissen.“ Ganz ähnlich äußerte sich Klaus Hayen, langjähriger Vorsitzender des Theaterrings Volksbühne. Der wurde 1948, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, gegründet, um das in seiner Existenz bedrohte Theater mit Besuchern und Abonnenten zu versorgen. „Kultur ist fast ein Lebensmittel“, betonte er – und bekam viel Beifall für den Satz: „Münster ohne Theater geht einfach gar nicht.“ Seit 60 Jahren steht Hannes Demming, 35 Jahre lang Vorsitzender der Niederdeutschen Bühne, auf den Brettern, die manchem die Welt bedeuten. Nicht nur weil er Lust aufs Theater hatte, sondern auch, um der niederdeutschen Sprache zu helfen: „Das ist linguistischer Umweltschutz.“

Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass sie für ihr ehrenamtliches Engagement etwas zurückbekommen – auch wenn das nicht immer so unmittelbar spürbar ist, wie der Applaus, den Hannes Demming als Schauspieler erntet. Dr. Heiko Winkler sagte, er habe durch sein Engagement „eine ganz neue Welt kennengelernt“, und Hiltrud Rogner betonte, sie habe ein „neues Weltbild“ bekommen. Otto Möllenhoff freute sich über positives Echo („Das erfüllt einen.“), Daniel Graffe registrierte „positive Gefühle“ und Benedikt Vollmer sprach von „Bereicherung pur“.