Prof. Dr. Thomas Großbölting

1968 – the year that turned the world around


“The year that turned the world around“. So wurde das Jahr 1968 oft bezeichnet, in dem überall auf der Welt Studentenrevolten begannen und der Ruf nach gesellschaftlichen Veränderungen laut wurde. Es markiert eine Zeit des Umbruchs, wie Prof. Dr. Thomas Großbölting in seiner Einleitung betont. Eines Umbruchs, der sich im Großen wie im Kleinen widerspiegelt. „Wenn wir die Linse ganz weit spannen, und in globalen Kontexten schauen, dann sehen wir zum Beispiel die USA, in denen man gegen Rassismus und Diskriminierung kämpft.“ Auch Mexiko, in dem die Machtverhältnisse beinahe umgekehrt werden, sei ein Beispiel. Genauso wie Frankreich, wo fast eine Revolution in Form eines wochenlangen Generalstreiks stattfindet. In Deutschland sind die Veränderungen nicht so fundamental, aber trotzdem wichtig: „Es gibt bis heute eine ganze Reihe von Menschen, die davon überzeugt sind, dass mit 1968 die politische Kultur in Deutschland erst wirklich zu blühen begann.“ Das habe auch bedeutet, die Ära Adenauer hinter sich zu lassen und Abstand von einem gesellschaftlich spaltenden Klassendenken zu nehmen. Aber auch die Natur ehrenamtlicher Arbeit wandelt sich zu dieser Zeit. „Es gab einen Aufbruch zu mehr Bürgerengagement in dem Sinne, dass sich nicht nur eine sozial exklusive Schicht engagiert, sondern die Staatsbürger an sich, das heißt wir alle, inbegriff en sind. “Blickt man auf die Stadt Münster, sieht man die konkreten Veränderungen im Leben der Menschen“. Die Studentenrevolten seien hier weniger intensiv gewesen, so Großbölting. Was sich besonders verändert ist nicht unbedingt die Politik, sondern der Lebensstil der Menschen: Studentenverbindungen werden ab 1965 immer seltener, gemischte WGs gehören dafür nach und nach zum Alltag. Studierende gehen auch ohne Anzüge und Krawatten in die Uni und siezen sich nicht mehr untereinander. „Insgesamt sind die Lebensformen und der Alltag zunehmend von Informalität geprägt“, so der Historiker. Und das wirkt sich auch auf das bürgerschaftliche Engagement aus. Wo in den 50er-Jahren noch eine überhöhte Autoritätshörigkeit gegenüber Kirche, Beamten und Professoren herrschte, fand mit Beginn der 70er-Jahre der „Aufstand des Publikums“ statt, wie es Großbölting ausdrückt. „Wo Autoritäten sinken, da wächst das Publikum. Laien machen sich zu Bewegern in eigener Sache und wollen selber über ihre eigene Lebensgestaltung bestimmen.“ Dazu gehört zum Beispiel, dass Bildung kein exklusives Gut mehr ist, sondern möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden soll. Und auch in der lokalen Politik werden viele Bürger aktiv. Das Themenspektrum ehrenamtlicher Arbeit in Münster erweitert sich, wird vielfältiger und zeitgemäßer und dreht sich um Belange wie Jugendhilfe, Nachhaltigkeit und Globalisierung. Der „Aufstand“ hat sich laut Prof. Dr. Großbölting mittlerweile wieder abgeschwächt. „Was aber geblieben ist, ist die Informalisierung, ein neuer Lebensstil, ein neues Engagement.“ Dieses sei weltoffener, globaler, integrativer. Ein Wandel, der Münster gut steht.

Lena Amberge