Lothar Esser

„Menschen sind spannend“


„Du bist ein Philanthrop, du liebst die Menschen“, hat ihm mal ein Kommilitone während des Studiums gesagt. Lothar Esser fühlt sich damit nicht falsch charakterisiert. „Ich gehe gerne mit Menschen um“, sagt er lächelnd, „Menschen sind spannend.“ Und besonders spannend sind sie womöglich in Kinderhaus, wo auf engem Raum viele Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Nationalität zusammenleben – und wo der heute 69-Jährige sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich engagiert.

Nach Münster kam der gebürtige Osnabrücker durch das Studium, nach Kinderhaus e-her per Zufall. 1977 fand er in dem münsterischen Stadtteil eine Wohnung und ein Zu-hause. Und für ihn war damals gleich klar: „Wenn man da mit seiner Familie wohnt, dann sollte man sich in seinem persönlichen Umfeld auch engagieren.“ Lothar Esser sah schnell, wo Engagement gefragt war: „Das war die Diskrepanz zwi-schen dem katholisch-ländlich geprägten Alt-Kinderhaus und der neuen, seltsamen Hochhaus-Siedlung in der Nordwestschleife, die damals schon verrufen war.“ Dass das oft an den Bewohnern festgemacht wird, störte ihn damals wie heute: „Denn so sind die Menschen gar nicht." Gemeinsam mit anderen gründete der Gymnasiallehrer einen run-den Tisch, der sich damals schlicht Stammtisch nannte: „Was kann man machen, was können wir tun?“ Die „Schleifen-Koop“, wie der Stammtisch gerufen wurde, organisierte Feste, kümmerte sich um Kinderbetreuung – und fand mit ihren Angeboten bald so regen Zuspruch, dass man sich nach einem festen Quartier umsah. Da kam die leerstehende alte Drogerie am Sprickmannplatz gerade recht. 1987 wurde ein Förderverein gegründet, und der machte – gemeinsam mit der AWO – aus der Drogerie das Begegnungszentrum Sprickmannstraße. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Heute hat der Verein, dem Lothar Esser seit sechs Jahren als 1. Vorsitzender vorsteht, über 180 Mitglieder. Und das Begegnungs-zentrum, das dank städtischer Förderung auch etliche haupt- und nebenamtliche Kräfte beschäftigt, leistet Stadtteilarbeit im besten Sinne des Wortes. Da gibt es – unter anderem – Frauengruppen und Kinderbetreuung, katholische Gottesdienste und afghanische Ge-sprächskreise, Arbeitslosenberatung und Betreuung im „Jugendsalon“, eine Tafel und den Bewohnerpark „Grünschleife“ – sowie viel Integration internationale Vernetzung. Wie das aussehen kann, erläutert Esser am Beispiel von türkischen und russlanddeut-schen Jugendlichen, zwischen denen es zeitweise Reibereien gab: „Da haben wir mit denen eine gemeinsame Ferienfahrt gemacht – und plötzlich war der Stress weitgehend raus.“ Einen Schwerpunkt bildet die Mieterbetreuung, vor allem nachdem die LEG-Wohnungen vor Jahren an einen Investor verkauft wurden – für Esser „eine wohnungspolitische Tod-sünde“. 630 Wohnungen seien noch immer „in falschen Händen“, sagt er. Jede Woche gebe es Beschwerden über den Zustand der Wohnungen. Und manches sei in der Tat „grauenhaft“, da könne einem schon mal „der Kragen platzen“. In der Nordwestschleife, wo mehr als drei Viertel der Bewohner einen Migrationshinter-grund haben, gibt es immer noch viele Probleme. Aber Lothar Esser, der sich selbst einen „Kinderhauser aus Überzeugung“ nennt, kennt da keine Berührungsängste. Und er rät anderen, „die Scheuklappen runterzunehmen“. Dann sei der Umgang mit den Menschen wirklich spannend. Wolfgang Schemann